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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/197

Be­triebs­rat: Mei­nungs­frei­heit vor­ran­gig

Be­triebs­rat und Mei­nungs­frei­heit: Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein, Be­schluss vom 01.04.2009, 3 TaBV­Ga 2/09
Sitzung des Betriebsrats, Betriebsratsversammlung Mei­nungs­frei­heit als höchs­tes Gut: auch im Be­triebs­rat

27.10.2009. Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten zwi­schen Be­triebs­rat und Ar­beit­ge­ber sind nicht un­üb­lich. Dies er­gibt sich schon al­lein aus dem Um­stand, dass sie zum Teil völ­lig un­ter­schied­li­che In­ter­es­sen ver­tre­ten.

Es stellt sich je­doch die Fra­ge, ob und in­wie­weit der Be­triebs­rat die in­ter­es­sier­te Be­triebs­öf­fent­lich­keit über Strei­tig­kei­ten die­ser Art in­for­mie­ren darf.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Schles­wig-Hol­stein hat­te sich die­ser Fra­ge vor Kur­zem an­zu­neh­men und kam da­bei zu we­nig über­ra­schen­den Er­geb­nis­sen, LAG Schles­wig-Hol­stein, Be­schluss vom 01.04.2009, 3 TaBV­Ga 2/09.

Be­triebs­rat: Zulässi­ge Mei­nungsäußerung oder un­sach­li­che Mei­nungs­ma­che

Be­triebs­rat und Ar­beit­ge­ber ha­ben na­tur­gemäß oft un­ter­schied­li­che In­ter­es­sen zu ver­tre­ten. Dass es darüber zu Streit kom­men kann, dass die­ser Streit es­ka­lie­ren kann, dass auf bei­den Sei­ten der Ton un­an­ge­mes­sen wer­den und darüber die Sa­che aus den Au­gen ver­lo­ren ge­hen kann, hat der Ge­setz­ge­ber ge­se­hen.

§ 2 Abs. 1 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) ver­pflich­tet die Be­triebs­part­ner des­halb zur ver­trau­ens­vol­len Zu­sam­men­ar­beit „zum Wohl der Ar­beit­neh­mer und des Be­triebs“. § 74 Abs 2 Satz 2 Be­trVG kon­kre­ti­siert die­sen Grund­satz, in­dem er Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat Maßnah­men ver­bie­tet, durch die der be­trieb­li­che Ar­beits­ab­lauf oder der Be­triebs­frie­den gestört wer­den.

Dass die­se Vor­schrif­ten aber nicht be­deu­ten können, dass je­de kon­tro­vers aus­ge­tra­ge­ne Strei­tig­keit un­ter­blei­ben muss, ist selbst­verständ­lich. Der Be­triebs­rat kann sich nach ganz herr­schen­der Mei­nung auf die in Art. 5 Abs.1 Satz 1 Grund­ge­setz (GG) verbürg­te Mei­nungs­frei­heit be­ru­fen. Ihm muss es möglich sein, sei­ne Be­tei­li­gungs­rech­te und all­ge­mei­nen Auf­ga­ben auch da­durch wahr­zu­neh­men, dass er zu­min­dest die Be­triebsöffent­lich­keit auch in wer­ten­den Stel­lung­nah­men über lau­fen­de Ge­richts­ver­fah­ren und/oder be­trieb­li­che Vorgänge in­for­miert.

Wo aber die Gren­ze zwi­schen zulässi­ger Mei­nungsäußerung und un­zulässi­ger un­sach­li­cher womöglich so­gar dif­fa­mie­ren­der Mei­nungs­ma­che verläuft, ist nicht im­mer ganz klar. Ein neue­rer Be­schluss des LAG Schles­wig-Hol­stein zeigt nach­voll­zieh­ba­re Maßstäbe hierfür auf (LAG Schles­wig-Hol­stein, Be­schluss vom 01.04.2009, 3 TaBV­Ga 2/09).

Un­ter­las­sungs­an­trag der Ar­beit­ge­be­rin ge­genüber In­for­ma­ti­ons­schrei­ben des Be­triebs­rats

Die Par­tei­en strit­ten über ei­nen Aus­hang des Be­triebs­ra­tes mit der Über­schrift, „Die un­end­li­che Ge­schich­te“. Die un­end­li­che Ge­schich­te hat­te fol­gen­den Hin­ter­grund: Die Beschäftig­ten in ei­ner Ree­de­rei hat­ten vor Jah­ren den zoll­frei­en Ver­kauf von Ta­bak­wa­ren und Al­ko­hol an Crew­mit­glie­der in der Crew­kan­ti­ne „er­streikt“. Über den Um­fang der Verkäufe war es den­noch im­mer wie­der zu Streit ge­kom­men.

Als die Zoll­fahn­dung er­heb­li­che Men­gen Al­ko­hol und Zi­ga­ret­ten beim Be­triebs­rats­mit­glied M. fand, nahm die Ar­beit­ge­be­rin, ver­tre­ten durch die Per­so­nal­lei­te­rin Frau S., dies zum An­lass, den Ver­kauf deut­lich ein­zu­schränken. Oh­ne den Be­triebs­rat zu be­tei­li­gen, ob­wohl das not­wen­dig ge­we­sen wäre.

Zu­dem woll­te sie dem be­trof­fe­nen Be­triebs­rat­mit­glied frist­los kündi­gen und lei­te­te, weil der Be­triebs­rat sei­ne Zu­stim­mung ver­wei­ger­te, ein Zu­stim­mungs­er­set­zungs­ver­fah­ren beim Ar­beits­ge­richt ein.

Ge­gen die Ver­kaufs­be­schränkun­gen wehr­te sich der Be­triebs­rat zunächst, in­dem er vor dem Ar­beits­ge­richt ei­ne einst­wei­li­ge Un­ter­las­sungs­verfügung er­wirk­te. Er ver­ein­bar­te da­nach mit der Ar­beit­ge­be­rin, über ei­ne ent­spre­chen­de Be­triebs­ver­ein­ba­rung zu ver­han­deln. Außer­dem in­for­mier­te er die Be­triebsöffent­lich­keit über die Vorgänge in be­sag­tem Aus­hang.

So­weit die­ser sich auf die Ver­kauf­s­ein­schränkun­gen be­zog hat­te er un­ter an­de­rem fol­gen­den Wort­laut:

„Die un­end­li­che Ge­schich­te. Die Ree­de­rei plant er­neut ei­nen An­griff auf die Vergüns­ti­gun­gen der Beschäftig­ten zum zoll­frei­en Ein­kauf in der Kan­ti­ne. (…). Der er­neu­te Ver­such von Frau S. den Ver­kauf von Kan­ti­nen­wa­ren ein­zu­schränken ist vor­erst ab­ge­wehrt wor­den. Die Be­triebs­par­tei­en ha­ben sich in ei­nem Ver­gleich vor dem Ar­beits­ge­richt ver­pflich­tet in Gesprächen nach ei­ner ein­ver­nehm­li­chen Re­ge­lung zu su­chen.“

Zum Streit über die frist­lo­se Kündi­gung des M ent­hielt der Aus­hang fol­gen­de Pas­sa­gen:

„Frau S. will das langjähri­ge Be­triebs­rats­mit­glied M. frist­los kündi­gen. (…) Grund des Wi­der­spruchs des Be­triebs­rats ist nicht, ein Zoll­ver­ge­hen zu beschöni­gen, son­dern, dass die­ses Zoll­ver­ge­hen nicht mit ei­ner Ver­let­zung von ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­pflich­tun­gen im Zu­sam­men­hang steht. (…) Frau S. will jetzt den Wi­der­spruch (…) er­set­zen las­sen. Der Be­triebs­rat hat den Ein­druck, dass es hier nur dar­um geht ein langjähri­ges ak­ti­ves Be­triebs­rats­mit­glied los zu wer­den.“

Die Ar­beit­ge­be­rin be­an­trag­te vor dem Ar­beits­ge­richt ei­ne einst­wei­li­ge Verfügung, den Aus­hang ab­zuhängen und die In­for­ma­ti­on zu un­ter­las­sen. Das Ar­beits­ge­richt gab der Ar­beit­ge­be­rin im Eil­ver­fah­ren recht. Der Aus­hang ver­stieß nach An­sicht des Ar­beits­ge­richts ge­gen §§ 2, 74 Be­trVG und ver­letz­te die Per­so­nal­lei­te­rin S durch die Na­mens­nen­nung in ih­rem all­ge­mei­nen Persönlich­keits­recht. Es wird vor al­lem im letz­ten Satz des Aus­hangs der Ein­druck er­weckt, dass der Ar­beit­ge­ber wil­lent­lich rechts­wid­ri­ge Kündi­gun­gen aus­spricht, so das Ar­beits­ge­richt. Ge­gen die einst­wei­li­ge Verfügung leg­te der Be­triebs­rat Be­schwer­de zum LAG Schles­wig-Hol­stein ein.

Be­triebs­rat muss die Be­triebsöffent­lich­keit im Rah­men sei­ner Auf­ga­ben über Strei­tig­kei­ten mit dem Ar­beit­ge­ber in­for­mie­ren können

Das LAG gab der Be­schwer­de statt und da­mit dem Be­triebs­rat recht. Auf das all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht der Per­so­nal­lei­te­rin S. durf­te die Ar­beit­ge­be­rin sich nicht stell­ver­tre­ten be­ru­fen (BAG v. 20.01.2009, 1 AZR 515/08 Rn 43).

Auch in der Sa­che ver­nein­te das LAG ei­nen Ver­s­toß ge­gen das Ge­bot der ver­trau­ens­vol­len Zu­sam­men­ar­beit aus den §§ 2, 74 Be­trVG.

Der Be­triebs­rat hat le­dig­lich sach­lich über das mit­be­stim­mungs­wid­ri­ge Vor­ge­hen des Ar­beit­ge­bers im Zu­sam­men­hang mit dem Kan­ti­nen­ver­kauf be­rich­tet, dar­in kann kei­ne Störung des Be­triebs­frie­dens ge­se­hen wer­den, meint das LAG. Auch dass hier­bei der Na­me der Per­so­nal­lei­te­rin ge­nannt wur­de, ist zulässig, zu­mal es durch­aus üblich ist, dass bei Be­rich­ten über Strei­tig­kei­ten die han­deln­den Per­so­nen auch na­ment­lich be­nannt wer­den.

Die In­for­ma­tio­nen über die Kündi­gung des Be­triebs­rats­mit­glie­des M. hält das LAG eben­falls für zulässig. Es sieht hier­in nur ei­ne sach­li­che In­for­ma­ti­on über Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten bezüglich der Kündi­gung.

Auch dass der Be­triebs­rat ge­sagt hat­te, dass es sei­nem Ein­druck nach dar­um ge­he „ein langjähri­ges Be­triebs­rats­mit­glied los­zu­wer­den“, ist nach An­sicht des LAG von der Mei­nungs­frei­heit ge­deckt. Der Be­triebs­rat hat nämlich deut­lich ge­macht, dass er le­dig­lich sei­nen sub­jek­ti­ven Ein­druck wie­der­ge­be, so das LAG.

Ge­ra­de vor dem Hin­ter­grund der über­ra­gen­den Be­deu­tung der Mei­nungs­frei­heit kann ihm nicht un­ter­stellt wer­den, dass er der Ar­beit­ge­be­rin rechts­wid­ri­ge Kündi­gun­gen un­ter vor­ge­scho­be­nen Gründen vor­ge­wor­fen hat und ei­ne Störung des Be­triebs­frie­dens be­ab­sich­tigt hat­te.

Fa­zit: Die Ent­schei­dung des LAG ist rich­tig und an­ge­sichts des ein­deu­ti­gen Sach­ver­hal­tes auch nicht über­ra­schend. Im Rah­men sei­ner Auf­ga­ben muss der Be­triebs­rat die Be­triebsöffent­lich­keit sach­lich über Strei­tig­kei­ten mit dem Ar­beit­ge­ber in­for­mie­ren können.

Dass hier­bei auch die han­deln­den Per­so­nen na­ment­lich erwähnt wer­den, ist hin­zu­neh­men, so­lan­ge die In­for­ma­ti­on sach­lich bleibt. Wenn der Be­triebs­rat über­dies ei­ne Be­wer­tung der Strei­tig­kei­ten vor­nimmt, ist er durch die Mei­nungs­frei­heit geschützt, so­lan­ge er deut­lich macht, dass er le­dig­lich sub­jek­ti­ve Ein­drücke schil­dert, und so­lan­ge er sich nicht dif­fa­mie­rend äußert.

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Letzte Überarbeitung: 8. März 2018

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